Wohnungslosigkeit: Es geht um die Würde von Menschen
Mit zahlreichen Infoständen und Aktionen rund um die Nikolaikirche haben Akteure, Verbände und Vereine in Siegen auf das Problem zunehmender Armut und Wohnungslosigkeit aufmerksam gemacht.
Organisatoren der Veranstaltung waren neben der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Soziale Dienste auch die Fachstelle für Wohnungsnotfälle der Stadt Siegen, Alternative Lebensräume für Frauen (ALF), die Initiative „Endlich ein Zuhause“ sowie das Katholische Jugendwerk Förderband mit dem Projekt „Hafen 57“. Neben Info- und Verpflegungsständen gab es in der Nikolaikirche eine Fotoausstellung: Unter dem Titel „Wie sehe ich meine Stadt“ wurden Bilder gezeigt, die wohnungslose Menschen in Siegen gemacht haben. Über eine Audioinstallation erhielten die Besucher dazu Einblicke in persönliche Schicksale der Betroffenen.
Höhepunkt war eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Siegener Wohnungslosigkeit beenden in sechs Jahren: Traum oder Wirklichkeit?“. Dabei diskutierten die Teilnehmer über Möglichkeiten und Grenzen bei dem Versuch, dieses ehrgeizige Ziel bis 2030 zu erreichen. Moderiert wurde die Runde von Felix Dornhöfer, Kreisgruppengeschäftsführer des Paritätischen in Siegen-Wittgenstein und Olpe.
Andree Schmidt, Sozialdezernent der Stadt Siegen, konstatierte, dass die aktuellen Rahmenbedingungen trotz enormer Bemühungen aller Beteiligten so schlecht seien, dass man eine komplette Beendigung der Wohnungslosigkeit bis 2030 wohl nicht werde erreichen können. Gleichwohl werde sich die Stadt bemühen, mehr städtischen Wohnraum und mehr sozialen Wohnungsbau zu schaffen, um den Wohnungsmarkt langfristig zu entspannen. Dass es aber nicht nur an fehlendem Wohnraum liegt, verdeutlichte Lars Stremmel, Sozialplaner beim Kreis Siegen-Wittgenstein. Laut Zensus stünden im Kreisgebiet knapp 2000 Wohnungen leer, die innerhalb von drei Monaten bezugsfertig sein könnten. Hier brauche es Strategien, Privatleute dazu zu bewegen, freistehende Wohnungen zu vermieten. Genau hier setzt die Initiative von „Endlich ein Zuhause“ an.
Hilfe zur Selbsthilfe leistet das Jobcenter mit verschiedenen Angeboten, wie Bereichsleiter Martin Striegan ausführte. So versuche man Wohnungslosigkeit mit Präventivangeboten oder auch aufsuchender Sozialarbeit, etwa im Projekt „Hafen 57“, möglichst abzuwenden und Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, wieder in den Leistungsbezug zurückzuholen, damit sie ihren Lebensunterhalt sichern und wieder eine Wohnung finden können.
Viele Menschen, die in existenzielle Not geraten, besuchen das Café Patchwork, wie Carsten Dax von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Soziale Dienste erläuterte. Rund 80 Gäste kommen täglich hierher, viele nehmen auch die Unterstützungsangebote in der angrenzenden Beratungsstelle in Anspruch. Darüber hinaus bietet die Diakonie Soziale Dienste im Rahmen des Dezentralen Wohnens einige Wohnungen im Stadtgebiet an – teils für die Klienten angemietet, teils von den Betroffenen selbst. In diesen Wohnungen werden die Menschen je nach individuellem Bedarf von Sozialpädagogen begleitet. Unterstützung erfährt die diakonische Wohnungslosenhilfe vom Verein „Gegen Armut Siegen“, der bei der Diskussion durch den zweiten Vorsitzenden Raimar Leng vertreten wurde. Ein Schwerpunkt der ehrenamtlich engagierten Vereinsmitglieder ist es, den Einrichtungen der diakonischen Wohnungslosenhilfe finanziell unter die Arme zu greifen. Dafür stellt der Verein jährlich 20 000 Euro zur Verfügung.
Carsten Dax hinterfragte die gängige Praxis des Jobcenters, bei notfallmäßigen Unterbringungen auf Hotels zurückzugreifen, was teils mit enormen Kosten verbunden ist. Stattdessen sollte, so forderte der Sozialarbeiter, das Geld dafür genutzt werden, für diesen Personenkreis Wohnungen anzumieten, die über dem Satz liegen, den das Jobcenter genehmigt. Martin Striegan gab zu, dass solche Hotelunterbringungen in der Tat mit hohen Kosten verbunden seien, allerdings handele es sich dabei um akute Notfälle, in denen eine kurze Überbrückungslösung gefunden werden müsse.
Dass Verbände und Akteure noch enger zusammenarbeiten müssen, um die nächsten Teilziele zu erreichen, betonte Lars Stremmel in seinem Abschlussstatement. Für mehr Offenheit und Toleranz warb Carsten Dax mit seinem Appell, Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen abzulegen und in der persönlichen Begegnung Grenzen zu überwinden. Martin Striegan postulierte ein umfangreiches Beratungsangebot und aufsuchende Sozialarbeit für die Menschen, die sich teils in hochkomplexen Problemlagen verstrickt haben. Trotz der aktuellen Herausforderungen blickt Andree Schmidt zuversichtlich in die Zukunft und verspricht seitens der Stadt Siegen die kommunalen Möglichkeiten zur Schaffung neuen Wohnraums auszuschöpfen. Zugleich wünscht er sich aber auch eine sachliche Diskussion über teils notwendige Unterbringungsformen, die nicht von populistischen Bürgerbewegungen überlagert werden dürften.
Überschattet wurde die Veranstaltung von einem tragischen Todesfall. Ein Mitglied einer Musikband erlitt einen Herzstillstand. „Wir sind zutiefst betroffen. Unser Beileid und Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen“, so Matthias Risse von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Soziale Dienste.