Inkontinenz: Raus aus der Tabuzone

Beim Arzt-Patientenseminar zum Thema „Inkontinenz-Therapie jenseits von Windel und Katheter“ standen (von links) Dr. Friedericke Winter, Dr. Osama Shamia, Bernd Ginsberg sowie Dr. Peter Weib als Experten Rede und Antwort.
Rund 40 Besucher folgten der Einladung des Diakonie Klinikums ins Haus Obere Hengsbach nach Siegen und richteten im Anschluss an die Fachvorträge auch persönliche Fragen an die Experten. Motto des Tages: „Inkontinenz-Therapie jenseits von Windel und Katheter“.
Einen Überblick der Inkontinenzformen verschaffte Dr. Friedericke Winter, Fachärztin für Urologie am Diakonie Klinikum Jung-Stilling. Dabei legte sie den Fokus auf die sogenannte Dranginkontinenz, auch als überaktive oder überempfindliche Blase bekannt. Hierbei handelt es sich um eine Blasenspeicherstörung. „Der Harndrang trifft die Betroffenen überfallartig“, so die Expertin. Und weiter: „Obwohl die Betroffenen ihre Inkontinenz als belastend empfinden, sich zurückziehen und oftmals – aufgrund immer weniger werdender sozialer Kontakte – auch an Depressionen leiden, scheuen sie den Gang zum Arzt.“ Dabei sei die Dranginkontinenz gut zu behandeln. Leichte Formen mit Beckenbodengymnastik, einem geänderten Trinkverhalten oder auch Medikamenten. Bei schwereren Verläufen helfe allerdings nur eine Operation, sprich die Entfernung der Blase. Dr. Winter riet Betroffenen, sich in jedem Fall untersuchen zu lassen. Nicht zuletzt, da eine Dranginkontinenz auch auf eine schwerwiegende Erkrankung, wie etwa Parkinson oder Multiple Sklerose, hindeuten könnte.
Leiden Frauen unter Inkontinenz, steckt nicht selten eine Senkung des Beckenbodens dahinter, wie Dr. Osama Shamia, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, gynäkologische Onkologie (Praxis Kreuztal) ausführte. Das Leiden wird jährlich etwa 60 000 Mal in Deutschland diagnostiziert. Ursächlich für eine Senkung sind etwa Geburten, eine vorliegende Bindegewebsschwäche oder starker Druck auf den Bauchraum, der etwa bei Adipositas entsteht. „Wenn wir den Betroffenen helfen wollen, sind wir auf ein interdisziplinäres Team angewiesen“, führte der Mediziner aus. Urologen, Radiologen, Proktologen, Dermatologen und Chirurgen arbeiten unter anderem zusammen. Aber: „Nicht jede Beckenbodensenkung bedarf einer Operation“, so Dr. Shamia. Gute Ergebnisse können Patientinnen auch mit Beckenbodengymnastik, Elektrostimulation oder hormoneller Therapie erreichen.
Die „Harninkontinenz bei neurologischen Erkrankungen“ beleuchtete Prof. Dr. Christian Tanislav, Chefarzt der Geriatrie am Diakonie Klinikum Jung-Stilling. Ihm zufolge betrifft der Muskelschwund im Alter alle Bereiche des menschlichen Körpers, eben auch die Blase. Doch die Nervenbahnen, die vom Gehirn zu den Organen führen, können auf verschiedenste Weise gestört sein. Eine der Zuhörinnen litt etwa seit einem Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule an Blasenschwäche. „Das ist gut möglich“, sah Prof. Dr. Tanislav einen Zusammenhang, „alles, was möglicherweise das Rückenmark irritiert, kann zu Inkontinenz führen.“
Trotz neuster Therapiemethoden: Manchmal führt für die Inkontinenz-Betroffenen doch kein Weg an Windel und Katheter vorbei. Stomatherapeut Bernd Ginsberg gab Tipps für eine hygienische Handhabung der Hilfsmittel und ging unter anderem auf das Entlassmanagement des Diakonie Klinikums ein: „Hier wird individuell Hilfe organisiert.“