Wenn Sinnesreize den Lebensalltag überfluten
Hochsensitivität ist keine Krankheit sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Aufgrund neurologischer Besonderheiten nehmen Hochsensitive äußere und innere Eindrücke stärker wahr und können mehr Informationen ungefiltert aufnehmen. So entsteht eine Flut an Sinnesreizen, die zu verarbeiten ist. Rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung fallen, zum Teil ohne es zu wissen, unter diese Personengruppe. Sie riechen, hören, sehen und fühlen intensiver als andere. In der Folge brauchen sie mehr Zeit und Ruhe, um das Aufgenommene zu verarbeiten. Hochsensitivität prägt sich bei den Betroffenen unterschiedlich aus. Was sie gemeinsam haben, ist eine große Erlebnisoffenheit und -tiefe. Auch Hunger, Durst, Druck, Lärm und Stimmungen anderer Menschen beeinträchtigen sie mehr als allgemein üblich.
Bei Elisabeth S. machte sich die Hochsensitivität bereits im Kindesalter bemerkbar. Sie spielte oft alleine, andere Kinder störten sie, waren ihr zu laut und zu ungeduldig. „Ich hatte lieber meine Ruhe und war für mich.“ Insgesamt ist es manchmal schwierig für sie, wenn gehäuft Termine oder Anlässe bevorstehen. Liest Elisabeth vor dem Schlafengehen ein Buch, kann es sein, dass sie die Geschichte noch in der Nacht beschäftigt und erst spät zur Ruhe kommt. „Aufgrund der intensiven Verarbeitung von Informationen ist es hilfreich für mich, dosiert Bücher zu lesen und Nachrichten zu schauen.“
Daniela M. geht es ähnlich. Als Kind reichte ihr eine Freundin, alleine zu spielen war kein Problem für sie. Selten besucht die heute 52-Jährige gesellschaftliche Veranstaltungen oder geht ins Kino. „Die vielen Menschen, lauten Geräusche und grellen Lichter lösen ein unwohles Gefühl in mir aus“, so Daniela. Den Einkaufsbummel mit einer Freundin beschreibt sie als Horrorsituation. Familienfeiern meidet sie oft, obwohl sie ihre Lieben und deren Kinder sehr mag. „Doch wenn sie herumlaufen und schreien, werde ich unruhig und möchte am liebsten flüchten.“ Daniela sei als gelernte Krankenschwester stets gerne arbeiten gegangen, doch dazu ist sie heute nicht mehr in der Lage. Zu sehr plagten sie klingelnde Telefone, Stresssituationen und Menschenmengen. Neben ihrer Verletzlichkeit gelten Hochsensitive auch als Personen mit einer hohen Gabe. Sie sind intuitiv, kreativ, umsichtig, arbeiten gründlich, gewissenhaft und genau, können sich gut konzentrieren und haben ein besonderes Gespür für andere Menschen. So erzählt Daniela, dass Patienten, die jemanden zum Reden brauchten, sich eher an sie als an ihre Kolleginnen gewandt haben. „Ich kann mich gut in andere hineinversetzen und ihre Gefühlslage verstehen.“ Daneben können sich Hochsensitive sehr über Kleinigkeiten freuen. „Es bewegt mich, wenn ich Vögel zwitschern höre oder von einem Hügel aus den Blick auf eine Landschaft genieße. Im Alltag können hochsensitive Personen so von äußeren Reizen überflutet werden, dass sie lange Ruhe- und Verarbeitungsphasen benötigen und dabei alleine sein möchten.
Wem es ähnlich wie Elisabeth S. und Daniela M. geht und in einer geschützten Gruppe frei über seine Gefühle und Erlebnisse sprechen sowie sich austauschen möchte, kann sich bei Silke Sartor unter 0271 / 5003 131 oder per E-Mail an Selbsthilfe@diakonie-sw.de melden.